Richter auf der Anklagebank
DOI:
https://doi.org/10.55051/JTSZ2022-2p1Abstract
Im März 1927 brachten die Tageszeitungen die „große Sensation“: István Nagy, Berichterstatter in Zwangsvergleichs- und Insolvenzsachen am Budapester kgl. Gerichtshof wurde beschuldigt, in Zusammenwirken mit Rechtsanwälten für Geld große Einnahmen versprechende Aufträge verteilt zu haben und deshalb verhaftet. Er geriet in Verdacht, bei Erledigung der Sachen schwere Regelwidrigkeiten begangen zu haben. Da im Zuge des Diszip - linarverfahrens das Begehen strafrechtlich geahndeten schweren Missbrauchs nachgewiesen werden konnte, wurden die Ermittlungen in der Sache aufgenommen. Was mag wohl ihn auf diesen Abweg geführt haben? Schwierigkeiten beim Lebensunterhalt? Mangelnde Regelung der Richterbesoldung? Oder einfach sein Charakter? Was ihn auch immer auf den Weg „zur Kriminalität“ geführt haben mag, seine Sache lenkte die Aufmerksamkeit der Öff entlichkeit auf sich, denn „nach langen Jahrzehnten war das der erste Fall, in dem ein Mitglied der ungarischen Richterschaft, dieser beispielhaft puritanischen Körperschaft, so schwer beschuldigt wurde.“ Zum Glück glaubte die rechtsuchende Öff entlichkeit weiterhin unerschütterlich an Unparteilichkeit und Unbestechlichkeit der Richterschaft. Wenn es nämlich „in der Justizorganisation, die Tausende von Mitgliedern zählt, einen oder zwei Menschen gibt, dessen Charakter der Versuchung nicht widerstehen kann, kann daraus mit nüchternem Verstand auf nichts anderes geschlossen werden, dass die Möglichkeit der Versuchung zu verringern ist“.